Am Unfallort abgegebene Erklärung zur Unfallschuld in der Regel kein Schuldanerkenntnis

OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.03.2011 – 4 U 370/10

Eine am Unfallort abgegebene Erklärung zur Unfallschuld stellt in aller Regel kein konstitutives oder deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, hat jedoch indizielle Wirkung

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29.6.2010 – 15 O 219/09 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.006,40 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagte zu 1) als Halterin des Fahrzeugs Peugeot 308, amtliches Kennzeichen, das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, welcher sich am 12.6.2009 in in der verkehrsberuhigten Straße „“ ereignete.

Die Zeugin parkte das Fahrzeug des Klägers, einen BMW 318d mit dem amtlichen Kennzeichen, auf der rechten Straßenseite auf dem Seitenstreifen, der durch eine gepflasterte Wasserrinne von der Fahrbahn getrennt ist. Kurz danach näherte sich die Beklagte zu 1) dem klägerischen Fahrzeug aus der gleichen Fahrtrichtung. Als sie das Fahrzeug des Klägers passierte, kam es zu einem Kontakt der beiden Fahrzeuge, wobei das klägerische Fahrzeug im vorderen linken Bereich und das Fahrzeug der Beklagten zu 1) im vorderen rechten Bereich beschädigt wurde. Im Unfallzeitpunkt ragte das Fahrzeug des Klägers teilweise in die Fahrbahn hinein.

Der Kläger hat behauptet, die Zeugin habe das Fahrzeug leicht schräg eingeparkt, damit die Beifahrerin, die Zeugin, ihre Mutter, wegen der auf der rechten Seite des Seitenstreifens befindlichen Mauer besser aus dem Auto habe aussteigen können. Hierbei habe die vordere linke Ecke einige Zentimeter in den Fahrbahnbereich hinein geragt, wobei die Durchfahrt anderer Fahrzeuge jedoch nicht behindert worden sei. Die Beklagte zu 1) sei mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren und mit dem im Kollisionszeitpunkt stehenden Fahrzeug des Klägers zusammengestoßen, weil sie zu früh nach rechts ausgeschert sei, um einem auf der Fahrbahn befindlichen Baum auszuweichen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug auf der Grundlage einer 100%-igen Haftung der Beklagten Erstattung des ihm entstandenen Fahrzeugschadens begehrt, wobei er die Klage in Hinblick auf eine Leistung seiner Vollkaskoversicherung in Höhe eines Betrages von 8.175,56 EUR zurückgenommen hat. Darüber hinaus hat er Freistellung von den Kosten, die ihm aus der Beauftragung eines Sachverständigenbüros sowie aus der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs entstanden sind, begehrt. Schließlich hat er die Beklagten auf Erstattung vor- und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.

Hinsichtlich des zuletzt gestellten erstinstanzlichen Antrags wird auf LG-U S. 4 f. (GA I Bl. 177 f.) Bezug genommen.

Dem sind die Beklagten entgegengetreten. Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte zu 1) sei lediglich mit Schrittgeschwindigkeit gefahren und habe sich bereits in Höhe des am rechten Straßenrand geparkten klägerischen Fahrzeugs befunden, als dieses plötzlich in den fließenden Verkehr eingefahren sei, ohne dass die Fahrerin den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und die bevorrechtigte Beklagte zu 1) beachtet habe. Die Zeugin habe eingeräumt, den Unfall verursacht zu haben. Die Beklagten haben bestritten, dass durch den Unfall die vordere Achse des klägerischen Pkws beschädigt worden sei. Auch seien die an der Felge des linken Vorderrades befindlichen Schäden nicht auf den Unfall zurückzuführen. Hinsichtlich des nicht beschädigten Reifens sei ein Abzug „alt für neu“ vorzunehmen, der gemäß dem Gutachterbüro mit 30,60 EUR netto zu berechnen sei. Auch sei die Erforderlichkeit, einen Mietwagen für 30 Tage anzumieten, nicht nachgewiesen, da nach dem Gutachten des Sachverständigen von einer Reparaturdauer von höchstens sechs Tagen auszugehen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dass eine deliktische Haftung der Beklagten schon deshalb nicht in Betracht komme, weil ein Verschulden der Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen sei. Auch eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG) komme nicht in Betracht: Da die Zeugin an der Unfallstelle ein Schuldanerkenntnis abgegeben habe, müsse der Kläger den Nachweis führen, dass die Zeugin an dem Zustandekommen des Unfalls nicht schuld gewesen sei. Diesen Beweis habe der Kläger nicht erbracht. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren auf der Grundlage einer 50-prozentigen Haftungsquote weiter.

Der Kläger wendet sich zunächst gegen die Auffassung des Landgerichts, dass die Zeugin ein Schuldanerkenntnis abgegeben habe. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Zeugin ausgesagt habe, sie habe gegenüber der Beklagten zu 1) die Abgabe eines Schuldanerkenntnisses abgelehnt. Die Äußerungen der Polizeibeamtinnen seien fragwürdig, weil beide Zeuginnen kaum tatsächliche Erinnerungen an das Unfallgeschehen gehabt und aus eigener Anschauung lediglich die dürftige Zusammenfassung aus der Verkehrsunfallanzeige wiederholt hätten.

Weiterhin sei das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass sich der Unfall beim Einfahren in den fließenden Verkehr ereignet habe.

Ausgehend von den erstinstanzlichen Schadenspositionen errechnet der Kläger unter Anwendung der Rechtsgrundsätze zur Schadensberechnung beim sog. Quotenvorrecht einen restlichen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 4.006,7 EUR.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 29.6.2010, 15 O 219/09 die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen,

1. an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.662,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.7.2009 sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 5.068,82 EUR für die Zeit vom 11.7.2009 bis zum 29.9.2009 zu zahlen;

2. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro K. in Höhe von 1.075,6 EUR aus der Rechnung vom 24.6.2009 nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung freizustellen;

3. an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.268,46 EUR aus der Rechnung R09/2628 der Firma vom 4.8.2009 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

4. einen Betrag in Höhe von 697 EUR wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltsvergütung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

5. einen Betrag in Höhe von 603,70 EUR wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltsvergütung für die Kaskoabrechnung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung zu zahlen;

6. einen Betrag in Höhe von 126 EUR wegen Rechtsanwaltsvergütung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zahlen;

7. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, auf die von ihm verauslagten Gerichtskosten Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten (§ 288 Abs. 1 S. 2 BGB) über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem Zeitpunkt ihrer Einzahlungen bis zur Beantragung der Kostenfestsetzung nach Maßgabe der dann ausgeurteilten Kosten zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung. Auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 1.10.2010 (GA II Bl. 215 ff.) und der Berufungserwiderung vom 8.10.2010 (GA II Bl. 227 ff.) wird Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8.2.2010 ff. (GA II Bl. 234 ff.) verwiesen.

II.

A. Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch die gem. § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO): Deliktsrechtliche Ansprüche scheiden mangels nachgewiesenen Verschuldens der Beklagten zu 1) aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts aus. Auch eine Haftung aus § 7 StVG hat das Landgericht im Ergebnis mit Recht verneint: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Zeugin ein schwerwiegender Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltsanforderungen unterlaufen, weshalb bei der Haftungsabwägung die alleine zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktritt.

1. Die Beklagten haften dem Grunde nach unter dem rechtlichen Aspekt der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, S. 4 VVG), da unstreitig ist, dass der Schaden bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden ist. Die Voraussetzungen der höheren Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) liegen ersichtlich nicht vor. Da sich auch das klägerische Fahrzeug selbst dann unter Verwirklichung des straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungstatbestands im Betrieb befand, wenn es zum Zeitpunkt des Unfalls gestanden hätte (auch ein geparktes Fahrzeug befindet sich jedenfalls dann noch im Betrieb, solange der Fahrer noch nicht ausgestiegen ist; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 7 Rdnr. 8), wurde der Schaden i.S. des § 17 Abs. 1 StVG durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht. Mithin hängt der Ausgang des Rechtsstreits von der richtigen Anwendung der zu § 17 Abs. 1 StVG entwickelten Rechtsgrundsätze ab:

2. Gemäß § 17 Abs. 1 StVG hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Hierbei kommen auch Schuldgesichtspunkte zum Tragen (Urt. v. 11.01.2005, VI ZR /352/03, NJW 2005, 1351). Jedoch sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH, Urt. v. 21.11.2006, VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urt. v. 27.6.2000, VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 17 StVG Rdnr. 5).

3. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur der Zeugin ein unfallursächliches Verschulden vorzuwerfen. Demgegenüber tritt die zu Lasten der Beklagten allein zu gewichtende Betriebsgefahr vollständig zurück:

a) Gem. § 10 S. 1 und 2 StVO hat sich derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er hat seine Absichten unter Benutzung der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig und deutlich anzukündigen. Diese Sorgfaltsanforderungen hat die Zeugin missachtet: Nach der Überzeugung des Senats ist die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ohne Setzen des Blinkers nach links in die Fahrbahn ausgeschert und deshalb unter Missachtung des Vorrechts des fließenden Verkehrs mit dem Fahrzeug der Beklagten zusammenstoßen.

aa) Allerdings ist ein solcher Unfallverlauf entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht deshalb zu unterstellen, weil die Zeugin an der Unfallstelle ein Schuldanerkenntnis abgegeben hat, welches hinsichtlich des anerkannten Sachverhalts zu einer Umkehr der Beweislast führte:

aaa) Schuldanerkennende Erklärungen können vielfältige Rechtswirkungen besitzen: So liegt ein konstitutives Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB vor, wenn der Anerkennende unabhängig vom Schuldgrund eine neue selbständige Verpflichtung schaffen will, die auch dann ihre Rechtswirksamkeit bewahren soll, wenn der ursprüngliche Anspruch nicht besteht (Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 781 Rdnr. 2; vgl. BGH, Urt. v. 4.4.2000, XI ZR 152/99, NJW 2000, 2984). Auch das deklaratorische Schuldanerkenntnis verkörpert eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, mit der der Anerkennende eine bereits bestehende Schuld lediglich bestätigen will oder in einem bestehenden Schuldverhältnis einzelne Einwendungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen will (BGH, Urt. v. 1.12.1994, VII ZR 215/93, NJW 1995, 960; Urt. v. 10.6.2008, XI ZR 348/07, NJW 2008, 3425). Die Abgabe eines bestätigenden Schuldanerkenntnisses kommt nur dann in Betracht, wenn die Beteiligten besonderen Anlass für ein Anerkenntnis besaßen. In der Rechtsprechung wird ein solcher Anlass insbesondere darin erblickt, wenn zunächst Streit oder Ungewissheit über das Bestehen der Schuld geherrscht hat (BGHZ 66, 250, 255; Urt. v. 11.11.2008, VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580; BGH, Urt. v. 10.1.1984, VI ZR 64/82, NJW 1984, 799).

Im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt scheidet sowohl die Abgabe eines konstitutiven als auch eines deklaratorischen Anerkenntnisses aus: Es ist nicht ersichtlich, dass die Zeugin mit ihrer Schilderung des Unfallverlaufs eine auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtete Willenserklärung abgeben wollte. Auch ein Anlass für die Abgabe eines deklaratorisches Schuldanerkenntnisses war nicht vorhanden, nachdem beide Unfallbeteiligten den Unfallhergang übereinstimmend schilderten. Überdies könnte eine solche materiellrechtliche Erklärung nur die Zeugin selbst und ihre eigene – nicht streitgegenständliche – Haftung am Unfallgeschehen betreffen. Eine Zurechnung der materiellen Anerkenntniswirkungen zum Nachteil des Klägers scheidet aus.

bbb) Demnach ist allenfalls in Betracht zu ziehen, ob die Erklärung der Zeugin auf der prozessualen Ebene hinsichtlich des zugestandenen Sachverhalts zu einer Umkehr der Beweislast führte. Im Grundsatz sind gerade im Verkehrsunfallprozess alle spontanen Äußerungen an der Unfallstelle über die Schuldfrage nach dem Unfallgeschehen zurückhaltend zu beurteilen (Erman/Heckelmann/Wilhelmi, BGB, 12. Aufl., § 781 Rdnr. 13; OLG Düsseldorf, NJW 2008, 3366). Die gravierende beweisrechtliche Rechtsfolge einer vollen Beweislastumkehr besitzt eine an der Unfallstelle abgegebene Erklärung nur dann, wenn den Parteien die Tragweite ihrer Erklärung auch aus der Sicht eines in Rechtsdingen unerfahrenen Laien zumindest erkennbar war. Ein solches Bewusstsein wird im Regelfall vorhanden sein, wenn die Aussage in schriftlicher Verkörperung erfolgt. Derjenige, der – wie im Sachverhalt der Entscheidung BGH, NJW 1984, 799 – an der Unfallstelle seinem Unfallgegner eine die Schuld bestätigende Erklärung übergibt, weiß, dass die Erklärung im Falle eines eventuellen Rechtsstreits zu Beweiszwecken dient. Ihm ist auch bewusst, dass sich der Gegner, der das Anerkenntnis in Händen hält, hinsichtlich des Beweisrisikos in Sicherheit wiegt und geneigt sein wird, mit Blick auf das Anerkenntnis von weitergehenden Aufklärungsmöglichkeiten an Ort und Stelle abzusehen. Nach diesen Erwägungen ist die volle Beweislastumkehr gleichermaßen Ausfluss des aus § 242 BGB herzuleitenden Verbotes widersprüchlichen Verhaltens als auch Konsequenz der prozessualen Grundsätze, die im Falle der Beweisvereitelung oder Beweiserschwerung der benachteiligten Partei Beweiserleichterungen zubilligen (vgl. MünchKomm(BGB)/Habersack, 5. Aufl., § 781 Rdnr. 33; zur prozessualen Beweiserleichterung vgl. PG/Laumen, ZPO, 2. Aufl., § 286 Rdnr. 67).

Hiervon unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt: Die Zeugin hat nach den Aussagen der Zeuginnen und keine ihre Schuld eingestehende Erklärung abgegeben, sondern lediglich das Unfallgeschehen geschildert. Erst recht hat die Zeugin keine schriftliche Erklärung übergeben, sondern sich stattdessen geweigert, das von der Beklagten zu 1) an der Unfallstelle geschriebene Anerkenntnis zu unterzeichnen. Angesichts dessen konnte die Beklagte zu 1) nicht mehr darauf vertrauen, aufgrund der an Ort und Stelle abgegebenen mündlichen Erklärungen gegen eventuelle beweisrechtliche Risiken nachhaltig abgesichert zu sein. In jedem Fall wäre ein solches Vertrauen nicht in einem solchen Maße schutzwürdig, dass der Enttäuschung des Vertrauens nur mit der Umkehr der Beweislast begegnet werden könnte. Vielmehr erscheint es vorzugswürdig, im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO die an Ort und Stelle erfolgte Unfallschilderung der Zeugin lediglich als – gewichtiges – Beweisanzeichen für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags zu würdigen (für flexible Beweiswirkungen einer an der Unfallstelle abgegebenen Erklärung: OLG Düsseldorf, NJW 2008, 3366; MünchKomm(BGB)/Habersack, aaO, Rdnr. 33; Palandt/Sprau, aaO, § 781 Rdnr. 6; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 2. Aufl., § 781 Rdnr. 18; PWW/Buck-Heeb, BGB, 4. Aufl., § 781 Rdnr. 16; i.E. wie hier auch Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 781 Rdnr. 40, der die volle Beweislastumkehr nur dann anerkennen will, wenn der Erklärungsempfänger im Vertrauen auf die Richtigkeit und den Bestand der Erklärung mögliche Beweissicherungsmaßnahmen unterlassen hat).

bb) Dies berücksichtigend steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fest, dass sich der Unfall so zugetragen hat, wie es die Beklagten vorgetragen haben:

aaa) Die Beklagte zu 1) hat den Unfallhergang nachvollziehbar und glaubhaft geschildert: Sie sei an den zahlreichen geparkten Fahrzeugen langsam vorbeigefahren. Als sie die Höhe des klägerischen Fahrzeugs erreicht gehabt habe, habe es bereits „geknallt“. Diese Darstellung ist plausibel: In Anbetracht der auf GA I Bl. 97 auf Lichtbild Nr. 34 gezeigten Straßensituation liegt es fern, dass die Beklagte zu 1) – so die Darstellung des Klägers – deshalb gegen das parkende Fahrzeug des Klägers stieß, weil sie dem Baum ausweichen wollte. Zwischen Baum und klägerischem Fahrzeug war noch eine hinreichend lange Fahrstrecke. Es bestand für die im Kollisionszeitpunkt mit maximal 20 km/h fahrende Beklagte zu 1) kein Anlass, eine hart am rechten Fahrbahnrand verlaufende Fahrtlinie zu wählen.

bbb) Darüber hinaus ist es nach der übereinstimmenden Einschätzung beider Sachverständigen nicht ausgeschlossen, dass sich der BMW zum Zeitpunkt des Kontaktbeginns in einer Vorwärtsbewegung befand. Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, dass ein solches Unfallgeschehen sogar höher wahrscheinlich sei.

ccc) Demgegenüber sind die Aussagen der beiden Zeuginnen nur eingeschränkt glaubhaft:

Gegen die Glaubhaftigkeit Aussage der Zeugin spricht, dass sie nach ihrer eigenen Aussage gegenüber der Beklagten zu 1) ihre Schuld einräumte. Es ist schon nicht einsichtig, weshalb die Beklagte zu 1) der Zeugin Vorhaltungen machte, wenn man die Richtigkeit des Klägervortrags unterstellt, wonach die Beklagte zu 1) gegen das stehende Fahrzeug gefahren sei. In einer solchen Unfallsituation liegt die überwiegende Schuld auch aus Sicht eines in verkehrsrechtlichen Fragen nicht bewanderten Laien eindeutig auf Seiten des sich im Verkehr fortbewegenden Fahrers. Erst recht ist es erfahrungswidrig, dass ein Unfallbeteiligter solchen Vorhaltungen nicht vehement entgegentritt, sondern sich stattdessen in die Rolle des Schuldigen begibt. Darüber hinaus hat die Zeugin bei genauer Würdigung einen Sorgfaltsverstoß gegen § 10 S. 1 und 2 StVO selbst zugestanden, indem sie bekundet hat, sie habe ihr Augenmerk nach vorne, nicht auf den rückwärtigen Verkehr gerichtet. Trotz der Schrägstellung, die nicht unerheblich in die Fahrbahn hineinreichte, sah sie vom gebotenen Setzen des Blinkers ab.

Wenig aufschlussreich ist die Aussage der Zeugen. Diese Zeugin hat ihre Aussage dadurch relativiert, dass sie nachvollziehbar ausgesagt hat, sie könne nähere Angaben zum Unfallhergang nicht machen, weil sie geradeaus auf den Polterabend geschaut habe und mit dem Aussteigen befasst gewesen sei (GA I Bl. 72). Dieses verständliche Wahrnehmungsdefizit scheint auch im weiteren Verlauf ihrer Aussage auf, indem sie aussagt hat, sie sei der „Meinung“ gewesen, dass zum Zeitpunkt des Unfalls das Fahrzeug des Klägers schon gestanden habe. Die Versuche von Beklagtenvertreter und Gericht, die Zeugin zu einer exakteren Beantwortung der Beweisfrage zu bewegen, verstärkten die Unsicherheit der Zeugin: Diese sah sich erst nach einer zweiten Nachfrage dazu in der Lage, die ihr suggerierte sichere Erinnerung zu bestätigen: „ich denke, dass ich mir sicher bin“; „ich bin mir sicher“ (GA I Bl. 73).

ddd) Entscheidend für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags sprechen jedoch die Aussagen der Zeuginnen und. Diese Zeuginnen haben ausgesagt, beide Fahrerinnen hätten den Unfallhergang übereinstimmend im Sinne des Beklagtenvortrags dargestellt. Nur diese übereinstimmende Darstellung sei der Grund dafür gewesen, warum die Zeugin gegenüber der Zeugin eine Verwarnung ausgesprochen und von der Befragung der an der Unfallstelle anwesenden potentiellen Zeugen Abstand genommen habe. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Zeugin das Unfallgeschehen gegenüber den Polizeibeamtinnen fehlerhaft wiedergab.

b) Auf Seiten der Beklagten ist ein allein in Betracht kommender Geschwindigkeitsverstoß nicht nachgewiesen, da die Beklagte zu 1) nach dem Ergebnis des Sachverständigenbeweises nicht nachweisbar schneller als 5 km/h fuhr. Mithin war zu Lasten der Beklagten allenfalls die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zu würdigen. Diese tritt jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung vollständig hinter den nachgewiesenen schwerwiegenden Verkehrsverstoß der Zeugin zurück: Die Vorschrift des § 10 StVO verlangt die Beachtung der strengsten Sorgfalt, da sie dem Anfahrenden auferlegt, sein Fahrmanöver nur dann einzuleiten, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Mithin entspricht es der Kasuistik, dass die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr bewegenden Fahrzeugs regelmäßig vollständig zurücktritt (KG, NJW 2010, 3790;OLG München, Urt. v. 27.5.2010, 10 U 4431/09; OLG Bremen, Urt. v. 25.2.2010 – 5 U 45/09; OLG Celle NJW-RR 2003, 1536; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 17 StVG Rdnr. 18; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVO, 21. Aufl., § 10 Rdnr. 8).

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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